Bildungsveranstaltung 2020
Besuch bei AgroVet Strickhof in Lindau ZH
Nachdem ein erster Termin im Juni den Corona-Massnahmen zum Opfer gefallen war, konnte am 16. September im zweiten Anlauf die VASO-Bildungsveranstaltung 2020 doch noch durchgeführt werden. Sie führte durch einen Teil der neuen Anlagen des Ausbildungs- und Versuchsbetriebs der kantonal-zürcherischen Landwirtschaftsschule am Standort Lindau. Die Veranstaltung wurde – unter erschwerten Corona-Bedingungen – von Christoph Wiggenhauser tadellos organisiert.
Nach Apero und Mittagessen im schön auf den Höhen des Zürcher Oberlandes gelegenen «Bläsihofs» in Winterberg wurden die Teilnehmenden im erst vor drei Jahren neu eröffneten Strickhof von Hanspeter Renfer, Leiter Ausbildungs- und Versuchsbetrieb, zu einer Einführung empfangen. Der Betrieb steht – wie sich Agrovet Strickhof selbst definiert — «Lernenden, Beratenden, der Forschung sowie der Öffentlichkeit als Anschauungs-, Lehr- und Forschungsbetrieb zur Verfügung». Im Stall, auf den Parzellen sowie in allen Betriebszweigen werden diverse Praxisversuche durchgeführt, deren Erkenntnisse dann in die Ausbildung und Beratung einfliessen. Betriebszweige sind der Feldbau, der Obstbau, der Rebbau, die Milchproduktion, die Mutterkuhhaltung, die Grossviehmast, die Schweinehaltung, die Legehennenhaltung, die Bienenhaltung, die Schafhaltung sowie ein Verkaufsladen mit Gärtnerei. AgroVet Strickhof will erklärtermassen in der Nutztierhaltung die Lehre und Forschung noch stärker mit der Praxis verbinden und so die ganze Wertschöpfungskette «vom Feld bis auf den Teller» betrachten.
Vier Standorte
Neben dem Hauptstandort Lindau ZH gehören noch drei Aussenstellen zu AgroVet Strickhof: In Winterthur Wülflingen steht der Rebbau im Vordergrund. Im auf 1000 m gelegenen Früebüel auf dem Zugerberg werden Aufzuchtrinder, Mutterkühe und Schafe im Stall und auf der Weide gehalten. Die Alp Weissenstein in Bergün, 1900 bis 2600 m ü. Meer gelegen, dient der Alpung von Mutterkühen, Pferden und Schafen während der Sommermonate. Dabei werden namentlich die Auswirkungen der Höhenlage auf die Leistung der Tiere und die Qualität von Milch und Fleisch, den Futterverzehr und den Stoffwechsel erforscht. Die ganzjährig genutzte Landwirtschaftsfläche umfasst 159 ha. Dazu kommt die Alp, die während eines Vierteljahres mit bis zu 120 Stück Vieh bestossen wird.
Stall für 130 Milchkühe
Der Rundgang konzentrierte sich auf den nach modernsten Grundsätzen erstellten Milchviehstall. Er beherbergt 130 Milchkühe, aufgeteilt in eine Ausbildungs- sowie eine Forschungsherde. Die Ausbildungsherde umfasst Leistungstiere der Rassen Holstein, Red Holstein und Brown Swiss. Angestrebt wird hier eine Jahresleistung von 12 000 kg Milch. Die Herde kann sich im Stall frei bewegen. Für die Forschungsherde, bestehend aus Original Braunvieh, steht ein Boxenlaufstall für 70 Tiere zur Verfügung. Die Tiere sind zu Forschungszwecken in 5 Gruppen aufgeteilt, wobei über 48 Wiegetröge eine individuelle Fütterung möglich ist. Ein weiterer Abschnitt des Rundgangs betraf die Kälbermast, wo ebenfalls nach einem «Diätplan» auf das einzelne Tier bezogen gefüttert werden kann.
Beeindruckend – trotzdem ein paar Fragen
Die neue Anlage des AgroVet Strickhof in Lindau fasziniert durch ihre Architektur, ihre Grosszügigkeit und den hohen Stand der Technik. Zweifellos ist das ein attraktiver Aus- und Weiterbildungsort für junge Landwirtinnen und Landwirte. Nicht so richtig erschlossen hat sich bei dem Besuch, wie weit die Ausbildungs- und Forschungsstätte rein im Dienste der offiziellen Landwirtschaftspolitik steht; dieser wird bekanntlich nachgesagt, auf die Interessen des Agroindustriekomplexes statt jene der Bäuerinnen und Bauern ausgerichtet zu sein. Wie weit wird in der Bildungsarbeit auch alternativen Vorstellungen und Forderungen Raum gelassen? Wie steht es mit dem Wachstumsdruck, den die Landwirtschaftspolitik des Bundes den Bauern auferlegt und sie so mit der geforderten Vergrösserung des Betriebs nicht selten in eine Sackgasse führt? Wird die mangelnde Gleichberechtigung und fehlende Mitbestimmung der Frauen in der Landwirtschaft in der Ausbildung thematisiert? Und die Missstände, mit denen das Agrar-Proletariat sich konfrontiert sieht: Ist die Unterstellung der Landwirtschaft unter das Arbeitsgesetz, wie es die Landarbeiter-Organisationen seit langem fordern, in den allgemein-bildenden Fächern ein Diskussionspunkt?